„Emma di Resburgo“ – Giocomo Meyerbeer 1791-1864

Melodramma erioco in due atti
Libretto von Gaetano Rossi - 1774-1855
nach Leone Andrea Tottola - 1831 und Jean Nicolas Bouilly 1743-1842

Konzertante Aufführung in italienischer Sprache
Uraufführung am 26. Juni 1819 im Teatro San Benedetto in Venedig
Dauer ca. 2,5 Stunden, Pause nach dem 1. Akt – ca. 80 Minuten

Emma – Simone Kermes – Sopran
Edemondo – Vivica Genaux – Mezzosopran
Etelia – Lena Belkina – Mezzosopran
Norcesto – Thomas Walker – Tenor
Olfredo – Manfred Hemm – Bass
Donaldo – Martin Vanberg – Tenor

Wiener Singakademie
Künstlerische Leitung: Heinz Ferlesch
moderntimes_1800
Dirigent: Andreas Stoehr

Geschichte:

Edemondo, Emmas Ehemann und Vater des gemeinsamen Sohnes Elvino, kehrt nach einer Zeit der Flucht in die schottische Graftschaft Leicester zurück. Er wird dort des Mordes am alten Grafen von Leicester, Rodger, bezichtigt. Olfredo, ein gemeinsamer Freund von Edemondo und der im Exil lebenden Emma, verhilft den beiden zu einem Wiedersehen. Sie hoffen, die Anschuldigungen Norcestos, dem aktuellen Herrscher von Leicester, entkräften zu können.

Der Plan, bei einem von Olfredo veranstalteten Fest, öffentlich die Unschuld und die Wahrheit um die Hintergründe des Attentats beweisen zu können, scheitert. Die Anwesenheit von Emma und Edemondo wird vorzeitig entdeckt, da ihr Sohn erkannt wird. Die Hinrichtung von Edemondo ist nur noch eine Frage der Zeit. Emma, die ihren Gatten noch im Kerker ein letztes Mal sehen darf, betrauert das gemeinsame Schicksal. Selbst zu sterben bereit, hält sie mit Angriffen auf Norcesto, den sie als eigentlichen Drahtzieher der Intrige gegen ihren Mann sieht, nicht zurück.

Kurz vor dem Vollzug der Hinrichtung wird Norcesto, offenbar stark bewegt durch den flammenden Appell Emmas, von Skrupeln heimgesucht. Norcesto verrät seinen Vater, der mittlerweile verstorben ist, als den eigentlichen Mörder Rodgers. Aus Scham und natürlich auch um den Machtanspruch wahren zu können, habe er geschwiegen und Edemondo der Tat bezichtigt. Alle sind erleichtert und froh, das Liebe, Treue und Tugend über die Rache gesiegt haben.

Giacomo Meyerbeers italienische Reise

Giacomo Meyerbeer und der Belcanto: eine ungewöhnliche Kombination, möchte man meinen, denn man verbindet den Namen des Komponisten mit der Entwicklung der französischen Grand Opéra und Beiträgen zur französischen Opéra Comique. So ungewöhnlich aber auch wieder nicht, wenn man sich die Zeit näher besieht, die Meyerbeer in Italien verbrachte um dort das Handwerk des Opernkomponisten zu lernen, und so in kurzer Zeit immerhin zu einem Hauptkonkurrenten Rossinis zu werden.
Am Beispiel der EMMA DI RESBURGO, neben einer SEMIRAMIDE und dem monumentalen IL CROCIATO IN EGITTO ( eigentlich schon eine Grand Opéra, und die letzte Oper der italienischen Serie ist ) eine der Opern aus dieser frühen Periode, kann man den Entwicklungsweg sehr gut nachvollziehen.

Dabei überrascht das große Einfühlungsvermögen und die stilistische Kompetenz des Komponisten ebenso, wie seine absolut aufrichtige und originelle Handhabung des Materials; geht es Meyerbeer eben nicht um eine bloße Kopie der musikalischen Rethorik eines Rossini, sondern  - als großer Bewunderer Mozarts - um die Weiterführung einer italienischen Belcantotradition, die von deutschen Komponisten wie Händel, Hasse, Gluck und Mozart schon im 18.Jahrhundert gepflegt wurde.

(Die Jugendopern Mozarts bis zu Lucio Silla sind noch stark von dieser Belcantotradition geprägt) Im Entstehungsjahr der EMMA, 1819, waren die großen Königsdramen eines Donizetti noch nicht komponiert, und so ist es erstaunlich für einen Komponisten, sich aus Deutschland zu verabschieden ( Meyerbeers Studienkollege Carl Maria von Weber versuchte ihn zum Bleiben zu überreden ) sich einen fremden Stil anzueignen , und obendrein dafür höchste Anerkennung zu ernten. Die Experimentierfreudigkeit Meyerbeers zeigt sich an vielen Stellen der Partitur: sei es der tänzerische "drive" der Ouverture, der Schubert'sche Ernst der Gerichtsszene, in der man daran erinnert wird, dass auch dieser Komponist "in italienischem Stil" komponiert hat, oder die Vielzahl instrumentaler Effekte, von rauem "sul ponticello" in den Streichern bis zu G. Mahler oder R. Strauss vorausahnende Anweisungen "tuba in aria" ( Schalltrichter hoch! ) für die Hörner.

Auch die Vokalakrobatik kommt nicht zu kurz, obwohl die musikalischen Linien nicht so sehr dem Selbstzweck dienen, wie man das bei den Komödien Rossinis kennt. Die musikalischen  Formeln werden in Bezug auf Harmonik und Rhythmik dem "Melodramma lirico" geschmeidig angepasst, und sind auch in ihren Primärgestalten ( also wo nicht verziert wird ) etwas schlichter.

Unsere Aufführung möchte auch zeigen, dass der Belcanto eben nicht ein Einzelphänomen des beginnenden 19.Jahrhunderts ist, sondern sich ein roter Faden ableiten lässt, der auch im Europa der nach- Napoléonischen Kriege nicht abgerissen ist.

Die Quellenlage der EMMA ist sehr komplex, und ich möchte sie hier nur an aller Kürze darstellen - die Vertiefung überlasse ich gerne den Verfassern "kritischer Berichte". Da ein lückenloses Autograph von Meyerbeers Hand nicht existiert, sind wir auf Abschriften diverser Kopisten angewiesen. Man findet sie u. a. in Bibliotheken wie Berlin und Venedig.

Als Primärquelle für unser Aufführungsmaterial haben wir eine komplette Partiturabschrift in italienischer Sprache aus Berlin (die aber keine Ouverture ausweist) und die Abschrift einer deutschen Fassung (die wahrscheinlich sogar mit  Dialogen anstatt der Rezitative gespielt wurde, ebenfalls in Berlin  - sie hat eine Ouverture), sowie eine Quelle aus Venedig.

Dieser Quellenbefund ist nicht vollständig, es haben sich auch für die Wissenschaft sicherlich mehr Fragen ergeben, als man vorläufig Editionstechnisch und  - kritisch beantworten kann. Deshalb ist unsere Aufführung als ein Teil eines "work in progress" zu verstehen, der eine Edition musikalisch - praktisch begleiten soll.

Dass wir somit in der Lage sind, auf ein Notenmaterial zurückzugreifen, welches  mit großer Könnerschaft erstellt wurde, dafür sei an dieser Stelle den Editoren von RICORDI herzlichst gedankt, allen voran Juergen Selk, und last but not least Dr. Döhring vom Meyerbeerinstitut in Thurnau, ohne den ich die erste Bekanntschaft mit dem Werk nicht gemacht hätte.

Die Entscheidung, EMMA DI RESBURGO mit einem Orchester wie Moderntimes_1800 aufzuführen, sowie Sängern, die allesamt Erfahrung im Umgang mit der Musik des 18.Jahrhunderts haben, fiel ganz bewusst. Die intensive Beschäftigung mit den Opern Monteverdis, Händels, Scarlattis und Mozarts hat mich insofern neugierig gemacht, auch die Landschaft des Belcanto zu erkunden.

Textautor: Andreas Stoehr