„...und weil die Music lieblich ist...“

Deutsche Madrigale und Tanzmusik von Balthasar Fritsch

Über den Komponisten Balthasar Fritsch ist nur wenig bekannt. Er wurde zwischen 1570 und 1580 in Leipzig geboren und verstarb nach 1608. Er spielte Geige und war eventuell ein Mitglied der Leipziger Stadtpfeifer. Dies sind die kargen Informationen, die im Grove Dictionary of Music and Musicians aufgeführt sind. Umso gehaltvoller sind aber die zwei Drucke mit seinen Kompositionen, die im Jahr 1608 in Leipzig und Frankfurt erschienen sind.
Der erste Druck trägt den Titel „Primitae Musicales“ und enthält 12 Pavanen, 21 Galliarden und eine Intrada. Die vierstimmigen Werke stehen ganz in der Tradition der Tanzmusik, mit klarer, leichtfüssiger Rythmik, Fritsch spielt mit Vogelstimmen und Echos. Der zweite Druck „Newe deutsche Gesänge nach Art der Welschen Madrigalien“ enthält 12 Vokalstücke für fünf Stimmen.
Fritsch verbindet hier die damals moderne italienische Dialogtechnik mit der deutschen Sprache.

Die Texte decken inhaltlich einen weiten Rahmen ab, sie erzählen von der Endlichkeit des Lebens, über den Liebesschmerz und philosophieren über die Lieblichkeit der Musik. Nachdem diese Drucke vier Jahrhunderte vergessen in deutschen und polnischen Bibliotheken lagerten, sollen die darin enthaltenen Werke nach vier Jahrhunderten erstmals wieder erklingen.

Die spannende Musik zweier Genres wird in einem Programm zusammengeführt. Das Instrumentalensemble Musicke&Mirth konnte die versierte Sängerin Ulrike Hofbauer zur Zusammenarbeit gewinnen. Die Tanzsätze werden von einem vierstimmigen Gambenconsort gespielt, dabei werden Nachbauten deutscher Instrumente aus dem 16. Jahrundert verwendet. Für die Vokalstücke übernimmt Ulrike Hofbauer den Sopran, die weiteren vier Stimmen werden von den Gamben musiziert. Es ensteht ein vielfarbiges und ansprechendes Bild des deutschen Frühbarock.

 

Mitwirkende: 

Ulrike Hofbauer- Sopran
Jane Achtman - Diskantgambe
Irene Klein - Altgambe
Tore Eketorp - Bassgambe
Elizabeth Rumsey - Violone

 

SPUREN EINER MUSIKERKARRIERE von Berns Heyder

Mehr als vierhundert Jahre ist es her, da erschienen auf dem deutschen Musikalienmarkt im Abstand von knapp zwei Jahren zwei Noteneditionen eines Balthasar Fritsch aus Leipzig: 1606 (oder vielleicht doch eher 1607) in Frankfurt am Main eine Ausgabe mit 12 Pavanen und 21 Galliarden, also den damals gängigsten Tänzen, gesetzt für vier Instrumente, und 1608 in Leipzig eine Sammlung mit zwölf weltlichen Gesängen für fünf Stimmen auf deutsche Texte.

 Mehr als das, was diese beiden Notendrucke an Informationen liefern, ist kaum über Fritsch dokumentiert – eigentlich nur noch, dass er am 18. Juni 1608 Pate bei einem Sohn des Leipziger Musikers Wilhelm Kaufmann wurde, der im städtischen Ensemble der Ratsmusiker üblicherweise den Streichbass spielte.
Was aber verraten die beiden Musikdrucke über Fritsch? Zunächst gibt die Formulierung Primitiae Musicales zur Tanzsammlung an, dass es sich um sein musikalisches Erstlingswerk handelt. Wie damals üblich, steht dem Druck eine Widmung voran. Die drückt nicht nur eine gewisse Reputation des Autors aus, sie verbindet sich in der Regel auch mit der Erwartung, von den Widmungsträgern eine Gratifikation zu erhalten, durch die sich die Unkosten des Drucks auffangen lassen. Fritsch bedenkt hier gleich zwei Standespersonen – keine Geringeren als das Brüderpaar Herzog Adolf Friedrich I. und Herzog Johann Albrecht II. von Mecklenburg. Die waren zu dieser Zeit 18 und 16 Jahre alt und noch unter der Vormundschaft ihrer regierenden Onkel. Aus der zweieinhalb eng beschriebene Quartseiten langen, nach barocker Manier recht gewundenen devoten lateinischen Vorrede Fritschs geht hervor, dass die beiden Herzöge ihm in seiner Heimatstadt Leipzig, in der sie sich zum Studium aufhielten, nicht nur beim Spiel auf dem Saiteninstrument lauschten, sondern dass ihm sogar die Ehre widerfuhr, sie in der Instrumentalmusik zu unterweisen. Die Pavanen und Galliarden widmete er ihnen mit Datum vom 31. Dezember 1606 als Gabe zum neuen Jahr; vermutlich erschien die Ausgabe also wohl erst zur Frankfurter Frühjahrsmesse 1607.

Die Vokalsammlung von 1608 „nach Art der Welschen Madrigalien“ hat Fritsch fünf „Junckern“ gewidmet, die er als seine „großgünstigen“ Förderer bezeichnet: vier Brüdern aus dem Hause Walwitz zu Dobritz in Anhalt und einem Hans-Georg Vitzthum von Eckstädt aus dem thüringischen Kannawurf – möglicherweise handelt es sich bei ihnen ebenfalls um adelige Musikschüler Fritschs. Die Widmung hat er diesmal kürzer gehalten und auf Deutsch: „ … Dieweil dann Eure Hoheiten neben andern viel Tugenden, nicht allein vor sonderliche Liebhaber der Music, sondern daß sie in solcher löblichen Kunst selbsten wol erfahren, und sich täglichen auff allerley Instrumenten mit einander exerciren, wie mir genug bewust, von männiglichen
hoch gerühmet werden, Und ich newlicher Zeit etliche Deutsche Gesänge nach Art der Welschen Madrigalien mit 5. Stimmen gesetzt, Als habe Eure Hoheiten von denen mir viel gutes bißhero bewiesen und erzeiget worden, ich hiemit meindanckbares Gemüth offentlich an Tag zu geben, und ihnen solch mein geringschätzig Gedicht zu dediciren mich schuldig erachtet.“

In beiden Sammlungen findet sich gehobene Unterhaltungsmusik aus jener Zeit, da man in Italien eine musikalische Epochenwende einläutet. Dort geraten einerseits die Vertonungen von Madrigaldichtungen – etwa bei einem Claudio Monteverdi – immer kunstvoller und harmonisch gewagter, um die expressiven Bilder des Textes auch musikalisch abbilden zu können. Andererseits löst sich die Gesangskunst vom kompakten mehrstimmigen Vokalsatz, um einer gesungenen Solostimme zur Instrumentalbegleitung mehr Freiheiten des Ausdrucks zu gewähren. Gleichzeitig öffnet sich die hohe Vokalkunst mehr und mehr dem liedhaften Stil der volkstümlichen Villanella. Das Wendeläuten südlich der Alpen wurde von den deutschen Musikliebhabern gehört – vor allem in einer Universitäts-, Messe und Buchdruckerstadt wie Leipzig, in der sich auf Betreiben der Bürger gerade der Chor an der Thomasschule unter dem Kantor Sethus Calvisius zu einem Eliteensemble wandelte und unter der Studentenschaft immer eine Reihe ambitionierter Musiktalente zu finden war. Das zeigen gleich mehrere Leipziger Editionen und auch Notenmanuskripte aus diesen Jahren, die sich die Art der italienischen Madrigale zum Vorbild nehmen – aber dann doch zu stilistisch ganz eigenen Ergebnissen kommen. 

Ähnliche Sammlungen wie die von Fritsch liegen beispielsweise von Christoph Demantius vor, seines Zeichens Kantor im sächsischen Freiberg, der sich Mitte der 1590er Jahre aber auch eine Weile in Leipzig aufgehalten hatte; seine Edition mit weltlichen Instrumental- und Vokalkompositionenvon 1608 widmet er übrigens ebenfalls den vier Junkern von Walwitz. 1609 folgt das Venus Kräntzlein des 23-jährigen Leipziger Studenten Johann Hermann Schein, das neben weltlichen Liedern auch Instrumentalsätze bietet und sich augenscheinlich in beidem an Fritsch orientiert. 

In seiner Musikgeschichte der Stadt Leipzig bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts von 1909 stellt der Musikhistoriker Rudolf Wustmann die Werke Fritschs vor. Im Hinblick auf die Komposition Daß ich nicht deinesgleichen bin formuliert er: „Das größte Stück, dessen Worte ganz volkslyrikartig schlicht und echt quellen, ein fünfstrophiges Abschiedslied, darf und muß man neben Heinrich Isaaks ‚Innsbruck, ich muss dich lassen‘ stellen, wenn man an zwei charakteristischen Beispielen den Unterscheid der deutschen Liedkunst von 1500 und 1600 erkennen will. Obwohl Fritsch das italienische Formvorbild kennt, ist doch seine Wort- und Tonerfindung viel ursprünglicher und Leipzigerisch bodenständiger als die ‚Teutschen Lieder‘ Demants oder selbst die Lieder von Scheins Venuskränzlein. […] Völlig unbesorgt wird Lebensrat, Liebesklage, Religiöses und Lustigesdurcheinander gereiht. Der für den Dichter charakteristischste Text ist wohl der zehnte: ‚Ich bin in diese Welt zu fromm, / kann mich darin nicht schicken‘ […] Wie andere bringt auch Fritsch sein Preislied auf die Musik: ‚Was lieblich ist, mich hoch erfreut‘“.

Diesem Gesang ist auch das Motto des heutigen Konzerts entnommen, in dem die fünfstimmigen Vokalsätze in einer Ausführung mit einer Singstimme und vier Gamben erklingen. Fritsch unterlegt zwar in allen fünf Stimmbüchern die vermutlich von ihm selbst gedichteten Gesangstexte, es war seinerzeit aber gängige Praxis, die Kompositionen nach Belieben mit Singstimmen und/oder Instrumenten zu besetzen – je nach Geschmack und individuellen Gegebenheiten. Fritschs Hinweis auf das täglich von den Herren Junkern gepflegte Instrumentalspiel in der Vorrede zu den Gesängen deutet schon an, dass er nicht unbedingt von einer rein vokalen Ausführung ausging.

Die vierstimmigen Tanzsätze Fritschs aus dem Jahr 1606, diese „ersten nachweisbaren Leipziger Streichquartette“ (Wustmann), wird man gerne auch in bürgerlichen Musizierstuben auf die Notenpulte gestellt haben. Mit seinem Dutzend gravitätischer Pavanen im geraden Taktmaß, die sich mit nahezu anderthalbmal so vielen quirligen Gaillarden im Dreiermetrum kombinieren lassen, steht dieser Druck noch in der Tradition des 16. Jahrhunderts. Auch ihn hat sich Johann Hermann Schein offenbar zum Vorbild genommen – wiederum für sein Venus-Kräntzlein von 1609, dann aber noch einmal 1617 in seiner großen Suiten-Sammlung Banchetto musicale. Sie sei, so lässt es Schein schon auf den Titel setzen, „auff allerley Instrumenten, bevoraus auff Violen, nicht ohne sonderbahre gratia, lieblich und lustig zu gebrauchen.“


Hier wird eine Ausführung mit Gamben – wie am heutigen Abend bei Fritsch zu hören – also nachdrücklich empfohlen. Vieles spricht dafür, dass Balthasar Fritsch ein musikbegeisterter bürgerlicher Studien-Kommilitone der Widmungsträger seiner Drucke war und auch von Schein; dann wäre er wohl in den 1580er Jahren geboren. 1616 wurde der einstige musizierende Student Schein der neue Leipziger Thomaskantor. Ob Fritsch das noch erlebte, wissen wir nicht, denn nach dem Jahr 1608 verliert sich seine Spur. Hätte er als
Musiker Karriere gemacht und wäre, wie es manche Musikforscher vermuten, Mitglied der Leipziger Ratsmusiker-Gilde geworden, müsste das in den städtischen Akten eigentlich dokumentiert sein – so wie beim Vater seines Patenkindes (den man natürlich ebenfalls unter die potentiellen Interpreten der Fritsch‘schen Kompositionen zählen darf). Aber wie auch immer das Leben des Balthasar Fritsch Lipsiensis verlaufen sein mag – seine Musik hat die Jahrhunderte glücklich überdauert.